Ohne Angst geht auf der Chefetage nichts
Unternehmer und Manager packen aus: Der tägliche Kampf mit Sorgen und Ängsten.
Angst regiert die Welt – ganz besonders die Welt der mittleren und oberen Kader. Das ist nicht a priori schlecht. Entscheidend ist der Umgang mit der Angst. Was beim einen als Triebfeder wirkt, kann den andern lähmen.
Die Börse boomt, die Unternehmen melden Rekordgewinne. Besonders die Finanzinstitute reiten auf einer Erfolgswelle – so auch die älteste Bank der Schweiz, Wegelin & Co. Privatbankiers in St. Gallen. Dort sitzt Konrad Hummler, seit 15 Jahren geschäftsführender Teilhaber und zudem NZZ-Verwaltungsrat, an seinem Schreibtisch und brütet über anstehende strategische Entscheide. Eben erst hat das Haus eine neue Niederlassung in Basel eröffnet, die siebte in der Schweiz. Weitere werden folgen, am ehesten in Genf und Luzern. Unter Hummlers Leitung ist das verwaltete Vermögen von knapp einer Milliarde auf über 15 Milliarden Franken angestiegen. «Wir wachsen mindestens so schnell wie die UBS», sagt er. Besser kanns also fast nicht laufen, und von aussen betrachtet gibt es weit und breit keinen Grund zur Sorge.
Aber weit gefehlt: Angst ist ganz oben ein ständiger Begleiter, den jeder Chef kennt, ob er es wahrhaben will oder nicht. Auch Hummler kämpft tagtäglich mit Ängsten. «Eine Unternehmensleitung ist alles andere als eine angstfreie Zone», sagt der 53-jährige Bankier. Er ist eine der wenigen Führungskräfte, die zu ihren Ängsten stehen und offen darüber reden. Wer behauptet, keine Angst zu haben, ist ihm suspekt. «Das sind die Gleichen, die immer ein so sauberes Pult haben, kein Papierchen, gar nichts. Denen glaub ich sowieso nichts.»
Ein anderer, der sich nicht scheut, über seine Ängste zu reden, ist Jost Wirz, langjähriger Mehrheitsaktionär der gleichnamigen Gruppe für Werbung und Kommunikation. «Man hat Angst vor all jenem, was man nicht kontrollieren kann», sagt der 65-jährige Marketingspezialist, der mehrere Verwaltungsratsmandate innehat und auch im Vorstand des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse sitzt. Und als verantwortlicher Unternehmer und Manager hat er gelernt, dass man eben niemals alles kontrollieren kann: So könnten – auch ohne das Verschulden der Firma – gute Kunden oder wertvolle Mitarbeiter abspringen. Wirz kennt auch die Angst vor den Medien, «das Gefühl, machtlos und ausgeliefert zu sein, ein Opfer». Dazu kommt die Sorge um den geschäftlichen Erfolg und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Für Wirz ist klar, warum Angst von Kaderleuten ungern thematisiert wird: «Man befürchtet, dies könnte als Zeichen der Schwäche gesehen werden.»
«Ich kenne die Angst, und ich kenne auch meinen Job. Die Angst kenne ich allerdings nur vom Bergsteigen. Als Manager habe ich nie Angst, aber viele Sorgen.» – Benedikt Weibel SBB-Generaldirektor
Existenzielle Ängste hat auch Kuoni-Chef Armin Meier, 48, ausgestanden – im Machtkampf mit Verwaltungsratspräsident Andreas Schmid. Der Reisekonzern war diesen Sommer während Wochen wie gelähmt, bis Schmid am 21. August den Hut nahm. «Wir waren alle erleichtert und konnten uns endlich wieder auf die Arbeit konzentrieren», sagte Meier. Mit dem Rücktritt von Schmid habe eine schwere Zeit ein Ende gefunden.
Jeder dritte Manager hat Angst vor Überforderung
Keinerlei Angst kennt Benedikt Weibel an der Spitze der SBB. «Ich weiss, was Angst ist, aber nicht aus meiner Laufbahn als Manager, sondern vom Bergsteigen. Da hatte ich öfter Angst, einmal sogar Todesangst», sagt der 60-Jährige in seinem letzten Jahr als SBB-Generaldirektor. Er erzählt von schlaflosen Nächten – aber nur als Bergführer vor einer schwierigen Tour. Wenns ums Geschäft geht, redet Weibel lieber von Sorgen, zum Beispiel von der «ständigen Sorge, dass bei uns wieder ein grosser Unfall passiert».
Egal, wie man sich ausdrückt: Tatsache ist, dass in jeder Chefetage die Angst regiert. Zu diesem Schluss kam auch Walter Kielholz, 55, Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse: Angst im Management habe in den letzten Jahren zugenommen und sei weiter verbreitet als vielfach angenommen, schrieb er vor Jahresfrist in einem Artikel zu diesem Thema. Er skizziert auch die fatalen Folgen für die Wirtschaft: Während viele Manager aus lauter Angst mutlos geworden seien, zögen sich talentierte Leute ganz aus dem Geschäft zurück – aus Angst, wegen nicht konformen Verhaltens als unfähig abgestempelt zu werden.
«Ich bin der Ansicht, dass in den letzten Jahren Angst in zunehmendem Masse ein ständiger Begleiter des heutigen Managers geworden ist.» – Walter Kielholz VR-Präsident Credit Suisse
Wie weitverbreitet die Angst bei den Chefs ist, zeigen auch Umfragen (siehe Grafiken): Zwei von drei Managern befürchten, Fehler zu machen. Fast ebenso viele haben Angst vor einem Wertschätzungsverlust. Und jeder dritte hat Angst vor Überforderung oder vor dem Verlust sozialer Kontakte, wie eine Studie der Fachhochschule Köln belegt. Die gleiche Untersuchung kommt zum Schluss, dass solche Ängste allein in Deutschland jährliche Kosten von 150 Milliarden Franken zur Folge haben. Für die Schweiz ist keine entsprechende Erhebung bekannt. Qualitativ bestätigt allerdings eine von CASH in Zusammenarbeit mit der Beratungsfirma Droege & Comp. in der Schweiz durchgeführte repräsentative Umfrage das Bild. Hier dominieren die unpersönlichen Sorgen und Geschäftsrisiken: Jeder Zweite der Befragten nennt die starke Regulierung und die steigenden Treibstoffkosten, während einer von drei Währungsrisiken oder politische Schocks befürchtet. Bei den Sorgen stehen die Gesundheit und die Sozialversicherungen an der Spitze.
«Jeder Unternehmer ist ein Narziss und hat Angst, sich selber nicht zu genügen. Diese Urangst treibt mich jeden Tag an. Es ist grauenhaft, aber auch schön.» – Konrad Hummler Privatbank Wegelin & Co.
Für Hummler von der Privatbank Wegelin sind diese exogenen Probleme leichter zu bewältigen, weil sie objektivierbar seien. «Viel schwieriger ist der Umgang mit der Angst, sich selber nicht zu genügen, nicht demjenigen Bild zu entsprechen, das man für sich selber definiert hat. Denn jeder Unternehmer ist ein Narziss. Er hat Freude an sich selber und muss mit der ständigen Angst leben, beim Blick in den Spiegel enttäuscht zu werden.» Diese Urangst treibt Hummler jeden Tag an: «Es ist grauenhaft, aber auch schön.»
Die Gratwanderung zwischen Spitzenleistungen und Absturz
Dies zeigt: Ängste sind für die Wirtschaft nicht grundsätzlich schlecht. Es liegt zwar keine Schaden-Nutzen-Rechnung vor. Aber allein mit den Kosten, die die Fachhochschule Köln geschätzt hat, ist es bestimmt nicht getan. Ängste sind beispielsweise hilfreich beim Umgang mit Gefahren und können vor Fehlern bewahren: «Wer keine Angst hat, geht zu hohe Risiken ein», sagt SBB-Chef Weibel – allerdings mit Blick aufs Bergsteigen.
Gleichzeitig warnen erfahrene Unternehmer – so auch Hummler – vor Panikmache und Führen durch Angst. Dies könne im Extremfall vielleicht einmal angebracht sein, «aber längerfristig erfolgreich führen kann man nur als Vorbild, und wer Angst verbreitet, kann kein Vorbild sein.» Weibel geht noch weiter: «Wenn einer durch Angst führt, ist er als Chef inakzeptabel.» Er erinnert an die Strompanne 2005. «Einige Medien forderten ein Köpferollen. Da habe ich bewusst gesagt: Wenn einer den Kopf hinhält, dann bin ich es. Ich wollte damit die Angst auf den unteren Stufen wegnehmen.»
«Kaderleute reden nur ungern über Angst, weil dies als Schwäche gesehen werden könnte. Aber man hat Angst vor all jenem, was man nicht kontrollieren kann.» – Jost Wirz Werbung/Kommunikation
Angst kann im Beruf aber auch zur Triebfeder werden – zum Nutzen des Unternehmens und bis hin zur Selbstaufopferung des Mitarbeiters, wie im Fall des heute 70-jährigen Versicherungsprofis Marino Moretti. Er war bei der Mobiliar in Bern jahrelang die Nummer 2 und verkaufte mehr Versicherungen als jeder andere im Land. Sein Prämienportefeuille erreichte 7 Millionen Franken, und in Spitzenjahren verdiente er bis zu einer halben Million, wie er in seiner Bescheidenheit verschämt einräumt. «Ich war voller Ehrgeiz, süchtig nach Erfolg – ein Workaholic, und das gefiel mir», sagt er heute, zwei Monate nach seiner zwangsweisen Pensionierung. «Die Angst hat mich ein Leben lang begleitet und zu überdurchschnittlichen Leistungen angetrieben. Sie schränkte mich aber auch ein.» So verzichtete er 20 Jahre lang auf Ferien, aus Angst, Verträge könnten platzen oder Kunden abspringen. Aber: «Ich würde es nochmals genauso machen.» Ein echter Profit für das Unternehmen.
«Bei den Chefs ist es viel grausamer als weiter unten»
Experten wissen, weshalb Kaderleute Angst haben.
Ein gewöhnlicher Angestellter hat Angst, nach einem Fehler abgemahnt oder diszipliniert zu werden. «Oben sind es andere Mechanismen », sagt Professor Enno Rudolph von der Universität Luzern. Der Philosoph und Theologe ist mit den Sorgen und Nöten der Manager bestens vertraut, leitet er doch seit Jahren Weiterbildungskurse für Führungskräfte. Chefs hätten vor allem Angst, aus Kommunikation und Entscheidungsprozessen ausgeschlossen zu werden. Es spiele eine höchst filigrane Diplomatie. Konsequenzen würden nicht direkt eingeklagt. «Vielmehr wird durch implizite Kritik erwartet, dass der Betroffene nach der Sitzung weiss, was er zu tun hat, nämlich den Rücktritt einzureichen. » Auch Mobbing sei unter Chefs viel grausamer: «Personen und Mittel sind nicht identifizierbar, und wenn man es merkt, ist es oft zu spät.» Bei Christoph Sigrist, Feldprediger und reformierter Pfarrer am Zürcher Grossmünster, können sich Entscheidungsträger ausweinen, ohne dass Familie oder Firma etwas mitbekommen. Fazit: «Zwischen 40 und 50 zerbrechen manche routinierte Kaderleute an der Angst. Sie realisieren, dass sie sich vielleicht getäuscht haben, einer Lebenslüge aufgesessen sind, und haben Angst, dies einzugestehen.» Für Sigrist ist Angst allerdings nichts Negatives. Im Gegenteil: «Aus der Hölle der Welt, der sich der Manager verkauft hat, geht eine Türe zum Paradies auf.»