«Irgendein Beamter irgendeines Kantons Bern . . .»
Nun ist die Strategie von Krügers Anwälten klar: Sie bestreiten die Rechtsgrundlage für ein Auslieferungsverfahren und zweifeln an der Zulässigkeit der englischen Übersetzung des Beweisdossiers aus der Schweiz. Dieses sei «juristisch irrelevant und wertlos», behaupten die Verteidiger. Ob der Richter dieser Argumentation folgen wird, ist völlig offen. Aber wenn er es tut, kommt das Ehepaar Krüger möglicherweise bereits am Wochenende frei.
Per Expresskurier DHL sind endlich die Originale von zusätzlichen Beweisdokumenten aus der Schweiz auf den Cayman Inseln eingetroffen. Doch davon wollte Krügers englischer Starverteidiger Alun Jones, der seit Donnerstag mittag das Wort hat, nichts hören. Unter anderem belegte er, dass in einem Auslieferungsverfahren die Beweisaufnahme zwei Monate nach der Verhaftung abgeschlossen sein müsse, sonst sei die Anklage fallen zu lassen. Dann zettelte Jones eine fast babylonische Sprachverwirrung an. Er stellte die englische Version des Beweisdossiers aus der Schweiz als «juristisch irrelevant und wertlos» dar – und damit sämtliche darin enthaltenen Dokumente und Zeugenaussagen («Bund» von gestern).
Die Firma «Scott Translations» hatte im Auftrag der Berner Justiz die Übersetzungsarbeit geleistet und schriftlich deren Korrektheit bezeugt. Dies reichte aber Alun Jons bei weitem nicht. Verlangt wäre wegen der vielen Fachausdrücke laut Jones eine Expertise von zweisprachigen Anwälten, um zu gewährleisten, dass die beiden sprachlichen Versionen inhaltlich und insbesondere juristisch wirklich «äquivalent» seien.
Was bedeutet «bankruptcy»?
Krügers Verteidiger begründete seine Zweifel mit zahlreichen Beispielen. Das angelsächsische Recht wende etwa den Begriff «bankruptcy» nur auf Personen an, nicht aber auf Firmen. Bei Firmen spreche man eher von «liquidation». Im Beweisdossier wurde «Konkurs» immer mit «bankruptcy» übersetzt. Jones behauptete, dass sich diese beiden Begriffe im Recht der Schweiz und Grossbritanniens nicht entsprächen. Der englische Ausdruck «trustee», den die Übersetzer für «Treuhänder» gewählt hatten, tauche im angelsächsischen Recht schon gar nicht erst auf. Auch die Bezeichnung von Krügers Unternehmen seien unklar und widersprüchlich: «company – enterprise – firm-corporation» und weitere Namen wechselten sich ständig ab. Und Krüger selber sei je nachdem als «manager, proprietor, director» bezeichnet worden. Mit solch schwammigen Übersetzungen lasse sich vor einem Gericht rein gar nichts anfangen, schloss Jones.
Zudem vermisse er im Beweisdossier aus der Schweiz Siegel und Unterschrift des Justizministers, wie dies im angelsächsischen Recht verlangt würde. Stattdessen habe «irgendein Beamter irgendeines Kantons oder einer Stadt Bern – das weiss man nicht so genau – unterzeichnet», höhnte Jones genüsslich. Allerdings wolle er die Schweiz hier nicht kritisieren, denn sie sei das Opfer der Unterschiede der beiden betroffenen Rechtssysteme geworden. Aber die Moral von der Geschichte sei natürlich, dass die Ermittler in Bern schon viel früher einen englischen Anwalt hätten beiziehen müssen. «Alles euer Fehler», scherzte Jones gegenüber dem «Bund» in einer Verhandlungspause.
Keine Rechtsgrundlage?
Alun Jones zauberte noch einen weiteren Trumpf aus seiner juristischen Trickkiste: Bei genauer Betrachtung fehle jede Rechtsgrundlage für eine Auslieferung aus den Cayman-Inseln in die Schweiz. Das Abkommen von 1881 zwischen der Schweiz und Grossbritannien (inklusive abhängige Gebiete wie die Cayman-Inseln) habe nämlich, besonders aus Schweizer Sicht – keine Gültigkeit mehr. Das Abkommen aus der Kolonialzeit sei 1991 in der Europäischen Auslieferungskonvention aufgegangen, welche die Verfahren stark vereinfache. Aber eben nur auf europäischem Territorium, falls die Vertragsstaaten nicht ausdrücklich etwas anderes verlangt hätten.
Nun habe zwar Grossbritannien die geographische Ausdehnung der Konvention im Sinne des alten Abkommens in einem Zusatz festgehalten, nicht aber die Schweiz. Also fehle bei einer Auslieferung von den Cayman-Inseln in die Schweiz das Gegenrecht, wie es in der Konvention verlangt werde. «Es ist wie bei einem Ehevertrag», veranschaulichte Krügers Anwalt den komplexen Sachverhalt. «Eine Ehe besteht nur dann, wenn beide Partner verheiratet sind. In unserem Fall fühlt sich zwar Grossbritannien samt den Cayman-Inseln an die Schweiz gebunden, nicht aber die Schweiz an die Cayman-Inseln.» Eine Auslieferung von der Schweiz auf die Cayman-Inseln sei nirgendwo vorgesehen. Somit fehle auch die Rechtsgrundlage für das vorliegende Auslieferungsverfahren, und schon deshalb sei die Anklage gegen das Ehepaar Krüger sofort fallen zu lassen.
Eines ist klar geworden: Richter Peter Jackson wird sich für oder gegen Jones Argumente entscheiden müssen. Ein Kompromiss ist ausgeschlossen. Falls sich der Richter Jones Sichtweise anschliesst, ist das Ehepaar Krüger frei. Der Entscheid war gestern abend noch offen, obschon beide Parteien den Prozess bis zum Wochenende abschliessen wollten. Die Anklageseite hat bereits während mehreren Tagen die Geschäfte Krügers durchleuchtet (vgl. «Bund» von gestern).
Flugzeug wartet bereits
Um dem Wunsch nach einem baldigen Entscheid entgegenzukommen, hat Richter Jackson zu einem unüblichen Mittel gegriffen. Er hat das Verfahren kurzerhand auf das Wochenende vertagt und hofft, heute Samstag zu einem Urteil zu kommen. Verhandlungen seien zum letzten Mal vor zwölf Jahren auf einen Samstag angesetzt worden, hiess es im Gericht. Damals sei ein Matrose beurteilt worden, dessen Schiff dringendst wieder auslaufen musste. Heute ist die Situation ähnlich: Auf beide Anwälte, sowohl auf Krügers Verteidiger als auch auf den Vertreter der Anklage, wartet das Flugzeug nach London.