Hochkonjunktur für Schwarzarbeit
Im Kampf gegen die Schattenwirtschaft sind die Behörden machtlos. Drahtzieher operieren wie kriminelle Organisationen – etwa mit Tarnfirmen in Steueroasen. Woche für Woche fliegen auf Schweizer Baustellen Schwarzarbeiter oder Fälle von Lohndumping auf. Im Wallis etwa wurden auf einer Baustelle 16 Arbeiter verhaftet, weil sie keine Arbeitsbewilligung hatten und für 20 Franken pro Stunde schufteten. Bauherrin war die Suva. Das Möbelhaus Ikea liess auf einer Baustelle bei Genf Lohndumping im grossen Stil zu – unwissentlich, sagt der Konzern.
Immer wieder sind auch grosse Namen wie UBS, Credit Suisse oder Marazzi im Spiel. Sie treten als Generalunternehmer oder Bauherren auf und können die Verantwortung zusammen mit den Aufträgen an Subunternehmen delegieren. So etwa die UBS im Fall der Generalversammlung im letzten April. Scheinselbstständige aus Deutschland besorgten damals den Umbau der Basler St. Jakobshalle. Oder die Anlagestiftung der Credit Suisse, die beim Bau des Wasserparks Aquabasilea über den Generalunternehmer Marazzi und Subunternehmer indirekt illegal Plättlileger aus Rumänien beschäftigte.
Der Name Marazzi taucht regelmässig auf. Jacky Gillmann, Generaldirektor des Bauriesen aus Bern, ist sich der Problematik bewusst. Es sei ein ganz wichtiges Thema. «Wir unternehmen viel, wir haben die Kontrollen verschärft», sagt er. Zutritt zur Baustelle erhalte nur noch, wer einen Badge habe. Aber die Verantwortung liege letztlich doch beim Subunternehmen. «Es verpflichtet sich uns gegenüber zur Einhaltung der Gesetze», so der Marazzi-Manager.
«Die Regeln gegen die Schwarzarbeit sind ein Papiertiger.»
Die publik gewordenen Fälle sind nur die Spitze des Eisberges. Eine Baselbieter Spezialtruppe, die in der Schweiz einzigartig ist, stösst bei jeder zweiten Baustelle auf schwarze Schafe. Experten sind sich einig, dass die Schwarzarbeit in der Schweiz zunimmt. Schätzungen gehen für das laufende Jahr von einem Volumen von mehreren Milliarden Franken aus.
Diese Zahlen zeigen, dass die diversen Gesetze und Bestimmungen gegen Lohndumping und Schwarzarbeit zu kurz greifen. FDP-Nationalrat Hans Rudolf Gysin, Direktor der Wirtschaftskammer Baselland, bringt es auf den Punkt: «Das Schwarzarbeitsgesetz ist eine Fehlkonstruktion. Es verlangt nur, dass andere Gesetze eingehalten werden.» Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) kennt die Kritik, merkt aber an, dass man Schwarzarbeit im Gesetz ganz bewusst nicht definieren wollte. Kritisiert wird das Seco auch wegen eines Rundschreibens gegen die grassierende Scheinselbstständigkeit, das dieser Tage in die Vernehmlassung geht. Peter Baeriswil, Direktor des Maler- und Gispermeisterverbandes, bezeichnet es als «zahnlosen Papiertiger». Er fühle sich ohnmächtig.
Ohnmächtig fühlt sich auch die Justiz, denn Schwarzarbeit ist inzwischen global und bandenmässig organisiert. So führen die Spuren auch auf die Seychellen, wo dubiose Firmen ihren Sitz haben und von Niederlassungen in der Schweiz aus Hilfskräfte vermitteln – schwarz (Seite 2).
Handelszeitung, 20.10.2010, Titelseite (PDF)
Der verlorene Kampf gegen Schwarzarbeit
Milliardenmarkt: Die Schweiz ist das einzige Industrieland, in dem die Schattenwirtschaft in den letzten Jahren zugenommen hat. Als Hauptursache sehen Experten die boomende Schwarzarbeit. Dubiose Firmen lotsen illegal Hunderte von Hilfskräften aus halb Europa über die Grenze, weil wirksame Gesetze fehlen.
Hoch über Bubendorf liegen sie auf der Lauer, die Schwarzarbeiter-Jäger aus dem Baselbiet. Bewaffnet mit Feldstecher und Teleobjektiv auf der Kamera beobachten und dokumentieren die von den Behörden eingesetzten Ermittler die Vorgänge rund um die Totalsanierung des Gasthofs Rössli. Die Baustelle liegt einen halben Kilometer Luftlinie entfernt. Aber von hier oben können die Fahnder bei gutem Wetter nicht nur die Autonummern erkennen, sondern auch die Gesichter der Männer, die auf der Baustelle arbeiten – vermutlich schwarz. Tagsüber ist es eine Handvoll, nach Feierabend steigt die Zahl oft bis auf zwölf.
Die Observierung begann schon im April, ein paar Mal wurden auch Kontrollen durchgeführt und Kopien von Personalausweisen erstellt. Die Beweislage ist klar, der Fall einfach: Der Besitzer und Bauherr beauftragt eine GmbH, hinter der ein paar bereits bekannte Gestalten stecken, die Schwarzarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien beschäftigen. Bald werden die Jäger zuschlagen und den Behördenapparat in Bewegung setzen.
Boomende Schattenwirtschaft
Solche Observationen sind hierzulande an der Tagesordnung. Das Geschäft mit Schwarzarbeit boomt und ist längst keine Ausnahmeerscheinung mehr, sondern Alltag. Die erschreckenden Dimensionen lassen sich jedoch nur abschätzen. Schwarzarbeit gilt immer noch als statistisches Niemandsland. Das Volumen der Schattenwirtschaft erreicht im laufenden Jahr die stolze Summe von 45 Milliarden Franken, das entspricht 8,3 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP). Das schreibt der deutsche Experte Friedrich Schneider, der an der Universität Linz lehrt, in einer Studie des renommierten Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW). Neben der Schwarzarbeit fliessen zwar in diese Schätzung auch kriminelle Aktivitäten wie Drogenhandel mit ein. Doch die meisten Experten von Gewerkschaften und Branchenverbänden sind sich einig, dass der Bereich Schwarzarbeit am schnellsten wächst. Überraschend: Die Schweiz ist das einzige der 21 grössten Industrieländer der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), in dem die Schattenwirtschaft in den letzten zehn Jahren zugenommen hat (siehe Grafik rechts). Die Zunahme beträgt seit 1998 zwar nur 0,2 Prozentpunkte. In absoluten Zahlen ist dies indes ein Plus von 13 Milliarden Franken.
«Kriminell ist nicht der Büezer, sondern wer Geld an den Sozialwerken und am Fiskus vorbeischleust.»
Der Kampf gegen die Schwarzarbeit gleicht einem Kampf gegen Windmühlen. Die Spezialtruppe der Zentralen Arbeitsmarktkontrolle (ZAK), wie sie der Kanton Baselland seit Anfang Jahr kennt, führt Hand in Hand mit der Zentralen Paritätischen Kontrollstelle (ZPK) täglich bis zu 20 Kontrollen durch. Die ZPK wacht seit 2004 über die Einhaltung der Gesamtarbeitsverträge. Die ZAK ist auf Schwarzarbeit spezialisiert, und zwar dort, wo die Missstände am grössten sind, nämlich im Baugewerbe, oder genauer im Ausbaugewerbe. Darunter fallen Berufe wie Maler, Gipser, Schreiner und Plättlileger. Meister der Schwarzarbeit sind die Gipser, weiss Michel Rohrer. Der 35-jährige Jurist mit Detektivlizenz leitet in Liestal sowohl die ZPK als auch die ZAK mit insgesamt einem Dutzend Mitarbeitenden.
Wie oft im Ausbaugewerbe gegen das Gesetz verstossen wird, lässt sich aufgrund der Zahlen aus Liestal abschätzen. Die Baselbieter haben seit Januar 1700 Kontrollen durchgeführt. «Praktisch auf jeder zweiten Baustelle haben wir Verstösse festgestellt», sagt Rohrer. Die «krassen Verstösse» beziffert er auf gut 20 Prozent. Ausländer gingen doppelt so viele in die Falle wie Schweizer. In Zahlen: 550 Verfahren wurden gegen Ausländer eingeleitet, 300 gegen Schweizer.
Im Prinzip nehmen alle Kantone Kontrollen vor, aber verhältnismässig wenige, weil das Personal fehlt. Nur Genf, Waadt und Neuenburg haben überdurchschnittlich viele Einsätze durchgeführt. Im Jahr 2009 wurden nach Angaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) landesweit 38 350 Personen aus allen möglichen Branchen kontrolliert. Gut 8000 haben gegen das Gesetz verstossen. Das entspricht einer Quote von 21 Prozent, wobei manche Kontrollen auf Verdacht hin erfolgten.
Gesetz ist «eine Fehlkonstruktion»
Der Direktor der Wirtschaftskammer Baselland, FDP-Nationalrat Hans Rudolf Gysin, ist der Vater der ZAK-Truppe – und deren Präsident. Als oberster Gewerbler im Kanton regt er sich über das Ausmass der Schwarzarbeit masslos auf und fühlt sich ohnmächtig. «Das Schwarzarbeitsgesetz ist eine Fehlkonstruktion. Es ist ein Gesetz, dass lediglich verlangt, das andere Gesetze eingehalten werden», sagt er. Die Behörden könnten nicht mehr tun, als Meldung an die AHV-Kasse, die Suva, die Steuerverwaltung oder das Migrationsamt zu erstatten – wo dann der Fall oft liegen bleibt.
Das Seco sei sich dessen bewusst, sagt Peter Gasser, Bereichsleiter Personenfreizügigkeit und Arbeitsbeziehungen. Das Gesetz, das seit 2008 in Kraft ist, sei eine Grundlage. «Es können sicherlich noch Verbesserungen erzielt werden.» Zur Kritik von Gysin sagt er: «Der Gesetzgeber hat bewusst nicht definiert, was Schwarzarbeit ist, sondern auf andere Gesetze verwiesen.»
Mit den kleinen Fischen, die auf den Baustellen in flagranti erwischt werden, hat Gysin schon fast Bedauern: «Kriminell ist nicht der einzelne Büezer, sondern wer zu Lasten sozial Schwächerer Geld an den Sozialwerken und am Fiskus vorbeischleust.»
«Ohnmächtig» fühlt sich auch Peter Baeriswyl, der Direktor des Maler- und Gipsermeisterverbandes. Er ortet das Hauptproblem in der boomenden Scheinselbstständigkeit. Selbständige dürfen für eine Pauschale arbeiten. Mit ihnen kann ein Auftraggeber die Gesamtarbeitsverträge unterlaufen.
Ein Seco-Papier dazu ist derzeit in der Vernehmlassung. «Nichts als ein zahnloser Papiertiger», sagt Baeriswyl. Das 23-seitige Rundschreiben, das der «Handelszeitung» vorliegt, besticht tatsächlich nicht durch griffige Massnahmen. Es warnt sogar vor Verfahren gegen Scheinselbstständige, «weil in einer Vielzahl der Fälle davon ausgegangen werden kann, dass eine Person, welche im Herkunftsland tatsächlich selbstständig ist, hier nicht wissentlich als scheinselbstständig auftritt».
Gewerbeboss ist «stinksauer»
Das alles macht Gysin, den Baselbieter Gewerbeboss, «stinksauer». Er ist bei den Baustellenkontrollen ab und zu persönlich dabei. So auch heute. Beim Gasthof Rössli in Bubendorf platzt ihm der Kragen, als er die Baustelle sieht. Und das nicht nur wegen der Schwarzarbeiter, die er antrifft: Die Baustelle ist weder aussen noch im Innern gemäss den Vorschriften der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) gesichert. Und dies, obwohl die Baustelle bereits im Sommer schon abgemahnt und vorübergehend geschlossen worden war.
Als Nationalrat hat er einen guten Draht zu Suva-Direktor Ulrich Fricker. Er ruft ihn an: «Ich bin am Rand meiner Beherrschung», sagt er und macht klar, dass er noch gleichentags einen Suva-Inspektor vor Ort sehen möchte – was dann auch tatsächlich klappt.
Auf verlorenem Posten
Derweil verläuft die Baustellenkontrolle der ZAK-Truppe beim Gasthof Rössli in Bubendorf weniger erfolgreich. Einer der Maurer kann sich nicht ausweisen. Er sei Serbe, sagt ein anderer. Die Verständigungsschwierigkeiten sind gross. Kaum einer der Arbeiter kann deutsch. Mit Müh und Not nimmt ein Kontrolleur Name und Geburtsdatum auf und ruft das Migrationsamt an. Bald ist klar: Der Mann ist in der Schweiz nicht registriert. Jetzt ist es an der Zeit, zuerst das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Kiga) und dann die Polizei zu rufen. Auf eigene Faust darf die ZAK nicht vorgehen, und Personen festhalten darf nur die Polizei.
Bis der Kiga-Mann eintrifft, kann es aber dauern. Warten ist angesagt. Da plötzlich duckt sich der Serbe und rennt davon, haut einfach ab. Die ZAK-Leute dürfen ihn nicht daran hindern. Im Kampf gegen die Schwarzarbeit stehen sie – und damit die Schweiz – oft auf verlorenem Posten.
Handelszeitung, 20.10.2010, Doppelseite 2/3 (PDF)
Die Masche mit dem Indischen Ozean
Global Subunternehmen sind oft schwer zu belangen. Selbst Firmen auf den Seychellen vermitteln Maler und Gipser in die Schweiz.
Der Tatort liegt im Baselbiet, in Allschwil. Dort bauen die Grossverteiler Coop und Aldi das Einkaufszentrum Lettenpark. Im vergangenen August flogen bei einer Baustellenkontrolle vier Männer aus Ex-Jugoslawien auf, die weder eine Aufenthalts- noch eine Arbeitsbewilligung hatten. Einer wurde festgenommen, drei konnten fliehen, bevor die Polizei eintraf. Das Verfahren läuft. Die Spur führt zu zwei Subunternehmen und in den Indischen Ozean. «Das eine der Subunternehmen war laut Handelsregister bereits gelöscht und somit illegal tätig, das andere hatte den Sitz auf den Seychellen und eine Niederlassung im Wallis», sagt Michel Rohrer. Er leitet die Zentrale Arbeitsmarktkontrolle (ZAK) Baselland, die dieses Jahr schon Dutzende solcher Fälle aufgedeckt hat. Ein Blick ins Handelsregister zeigt, dass die Masche mit den Seychellen kein Einzelfall ist: In der Schweiz sind 210 Niederlassungen von dort ansässigen Firmen registriert. Die meisten davon haben mit dem Baugewerbe zu tun.
Organisierte Kriminalität
Der Trick zeigt einen Trend: Die unorganisierte, klassische Schwarzarbeit nach dem Feierabend gehört der Vergangenheit an. Inzwischen arbeiten auch die schwarzen Schafe der Schweizer Baubranche mit den Methoden der organisierten Kriminalität. Wie die Geldwäscher bevorzugen sie Firmendomizile in fernen Bonsaistaaten. Kein Bauherr oder Generalunternehmer ist vor ihnen gefeit. Aber diese schauen weg, sie haben nichts zu befürchten. Denn sie verlangen vom Subunternehmer, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Das reicht. So können sie sich juristisch korrekt aus der Verantwortung stehlen.
UBS und Credit Suisse
Im vergangenen April standen für die UBS-Generalversammlung in der Basler St. Jakobshalle fast 50 Schwarzarbeiter im Einsatz. Es waren illegale Scheinselbstständige aus dem Raum Dresden, die für den Hallenaufbau pro Stunde 8 bis 15 Euro erhielten. Wie kam das? Die UBS delegierte die Arbeiten an die Firma Rufener Events in Zürich, die wiederum die Andreas Messerli AG in Zürich beauftragte. Diese holte die Enax AG, eine Briefkastenfirma in Zug, hinter der die Enax Messemontagen in Dresden steckt.
Auch die Credit Suisse profitiert von illegalen Hilfskräften. Beim Bau des Wasserparks Aquabasilea in Pratteln, der im März 2010 eröffnet wurde, flogen mehrere illegale Plättlileger aus Rumänien auf. Der Betrug kommt immer nach dem gleichen Muster zustande: Die Bauherrin, hier die Credit Suisse, heuert ein Generalunternehmen an, hier Marazzi. Marazzi holt für das Plättlilegen – es geht um Hunderte von Quadratmetern – eine deutsche Firma, die sich ihrerseits an die italienische Edil-Porfidi Trentina wendet, die auch die Plättli liefert. Für den Job schicken die Italiener am Ende sechs illegale Rumänen in die Schweiz, die mit 4.40 Franken pro Stunde abgespiesen werden (siehe Grafik). «Das grosse Geld macht der Generalunternehmer und vielleicht der erste Subunternehmer», sagt Michel Rohrer.
Marazzi verschärft Kontrollen
Der Name Marazzi taucht immer wieder auf, so auch bei der Überbauung Sky Park in Allschwil. Dort waren im Sommer zwei Dutzend Schwarzarbeiter aufgeflogen. Marazzi hatte Gipserarbeiten an ein Subunternehmen in Zofingen vergeben, das seinerseits zwei weitere Firmen engagierte. Jacky Gillmann, Generaldirektor von Marazzi, dementiert die Grössenordnung des Falles, ist sich aber der Problematik bewusst. «Wir haben die Kontrollen verschärft.» Zutritt zur Baustelle erhalte nur noch, wer einen Badge habe. Aber die Verantwortung liege letztlich beim Subunternehmen: «Es verpflichtet sich uns gegenüber zur Einhaltung der Gesetze.»
Die Arbeiter, die geschnappt werden, sind das letzte Glied in der Kette. Die Firmen dahinter werden nach dem Auftrag oft gelöscht oder in den Konkurs geschickt. Rohrer kennt viele Strippenzieher und sammelt Beweise. Aber zu einem Verfahren kommt es selten, denn die Spuren verlieren sich – und sei es im Indischen Ozean.
Streit: Sanktionen gegen 345 deutsche Firmen
Offene Grenze: Was liegt näher als Deutschland, wenn billige Arbeitskräfte gesucht sind? Die Personenfreizügigkeit ermöglicht es allen EU-Bürgern, in der Schweiz Arbeit anzunehmen, ab 1. Mai 2011 auch den Rumänen und Bulgaren. Solange sie sich an das Schweizer Recht und insbesondere an die Gesamtarbeitsverträge (GAV) halten, ist dagegen nichts einzuwenden. Nur: Die Realität sieht anders aus.
Meister Deutschland: Ein Gesetz regelt seit 2004 das Entsenden von Arbeitskräften durch ausländische Unternehmen in die Schweiz. Seither sind 650 Firmen auf der schwarzen Liste des Staatssekretariates für Wirtschaft (Seco) gelandet. Es sind «rechtskräftig sanktionierte Arbeitgeber», also nur die Spitze des Eisberges. Sie werden meist für ein bis zwei Jahre (maximal fünf) gesperrt und bezahlen eine Busse. Über die Hälfte der schwarzen Schafe, nämlich 345, stammen aus Deutschland.
10 000 Franken Kaution: Weil es bei gewissen Firmen unmöglich ist, nachträglich Geld einzutreiben, gilt für Maler- und Gipserbetriebe seit dem 1. Oktober im Rahmen des GAV eine Kautionspflicht. Trotz heftiger Proteste aus Deutschland hat dies der Bundesrat genehmigt. In- und ausländische Betriebe müssen nun 10 000 Franken hinterlegen.
Protestbrief an Leuthard: Jetzt droht Deutschland mit einer Beschwerde bei der EU-Kommission wegen Verstosses gegen das Freizügigkeitsabkommen. Der baden-württembergische Wirtschaftsminister schrieb einen erbosten Brief an Bundespräsidentin Doris Leuthard.
Tipps aus Konstanz: Am lautesten poltert die Handwerkskammer Konstanz. Ziel der Kaution sei die Abschottung der eigenen Märkte. In einem Manual «Auftragsabwicklung für deutsche Handwerker in der Schweiz» finden sich Tipps zum Thema Baustellenkontrollen und Sanktionen: «Das Modell der Schweiz ist grenzüberschreitend schwer durchsetzbar» und solche Strafen «mit unserem Rechtsverständnis kaum vereinbar».
Das Urteil von Ulm: Das Manual stützt sich auf ein Urteil des Ulmer Arbeitsgerichtes. Dieses hatte 2009 eine Klage der Zentralen Paritätischen Kontrollstelle Baselland gegen einen deutschen Malerbetrieb abgewiesen, der gegen das Entsendegesetz und den GAV verstossen hatte und gebüsst wurde. Das Gericht kam zum Schluss, dass solche zivilrechtlichen Ansprüche deutschem Recht fremd seien. Nun bleibt der Schweiz die Hoffnung, dass sich die Kautionslösung in allen Branchen durchsetzt, sodass geschuldete Gebühren und Bussen davon abgezogen werden können.
Die guten Seiten der Schwarzarbeit
Der schwarze Arbeitsmarkt kurbelt den Konsum an, sagt der Ökonom Friedrich Schneider. Falsch, er untergräbt unser System, heisst es in den betroffenen Branchen.
Der Tunesier ist glücklich, obwohl sein Asylgesuch abgelehnt wurde. Er arbeitet in einem Restaurant in der Westschweiz, für monatlich 1500 Franken. «Der Patron hat mir den Job angeboten», sagt er. Das Restaurant spart die Differenz zum Minimallohn von 2000 Franken sowie die Sozialleistungen und kann im Konkurrenzkampf überleben. Und der abgewiesene Asylbewerber verdient gerade genug, um in der Schweiz zu bleiben.
Der Fall ist typisch – nicht nur für die Gastrobranche, sondern auch für Friedrich Schneider, der an der Universität Linz lehrt. Er wehrt sich gegen die Verteufelung der Schwarzarbeit. Sie steigere den Wohlstand, sagt er in seinem Buch «Ein Herz für Schwarzarbeiter». Denn sowohl Anbieter als auch Nachfrager hätten mehr Geld im Sack. Geld, das in den Konsum fliesse, also die Nachfrage und damit die Konjunktur ankurble. «Das schwarz verdiente Geld wandert nicht aufs Sparbuch, sondern wird wieder ausgegeben. Das ist ein schönes Konjunkturprogramm.»
Mit Simulationsrechnungen belegt der Wirtschaftsprofessor, dass die Finanzminister nicht mehr Geld im Staatssäckel hätten, wenn gegen Schwarzarbeit wirksam vorgegangen werde. Denn zwei Drittel der Wirtschaftsleistung aus dem informellen Sektor würden entfallen, wenn es keinen schwarzen Markt gäbe.
Lieber Schwarzarbeit als Steuerflucht
Wer sein Geld nicht wie Roger Federer, Michael Schumacher oder Marcel Ospel in ein Steuerparadies verlegen kann, landet auf der Suche nach einem Schlupfloch vor dem Zugriff des Staates früher oder später bei der Schwarzarbeit. Diese Theorie steht bei Schneider im Zentrum: «Schwarzarbeit ist die Schweiz des kleinen Mannes.» Er muss es wissen, hat er doch 1983 an der Universität Zürich habilitiert. Im Unterschied zur Steuerflucht sei Schwarzarbeit ökonomisch sinnvoll, weil sie «zu Hause» Nutzen stifte, indem der Schwarzarbeiter Werte schaffe und der Konjunktur diene.
«Schwarzarbeit ist die Schweiz des kleinen Mannes.»
Das Gastgewerbe liegt punkto Schwarzarbeit nach dem Bau an zweiter Stelle. Das zeigen die Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco): Letztes Jahr wurden – oft auf Verdacht hin – auf Baustellen 8064 Personen kontrolliert, im Gastgewerbe waren es 6490 Personen. «Die Kontrollzahlen zeigen auf, in welchen Branchen Schwarzarbeit vermutet wird», sagt Seco-Sprecherin Antje Baertschi. «Das Gastgewerbe gilt als sensibel, weil dort eine hohe Fluktuation und deshalb ein grosser Bedarf an Aushilfen besteht, für die relativ tiefe Löhne bezahlt werden.» Marc Kaufmann vom Verband Hotelleriesuisse sagt: «Der Kostendruck ist überdurchschnittlich hoch.» Schwarzarbeit sei dennoch nicht die Lösung. «Wir sprechen uns ausdrücklich gegen Schwarzarbeit aus und bekämpfen stattdessen die Hochkosteninsel Schweiz auf politischem Weg.»
Gefahr einer Parallelwirtschaft
Hannes Jaisli von Gastrosuisse doppelt nach: «Illegale Verhaltensweisen führen zu ungleich langen Spiessen und damit zu einer Benachteiligung der ehrlichen Gastwirte und Hoteliers.» Er räumt aber ein, dass er früher ebenfalls Schneiders These vertreten hat. «Inzwischen habe ich meine Meinung geändert.» Denn Schwarzarbeit berge eine «Sprengkraft». «Sie untergräbt unser System und führt letztlich zu einer Parallelwirtschaft.» Und sie sei nicht, wie oft behauptet, nötig: «Die Mindestlöhne tragen den wirtschaftlichen Verhältnissen im Gastgewerbe genügend Rechnung.»
Der Tunesier war glücklich mit seiner Schwarzarbeit im Restaurant. Vier Monate lang ging es gut – bis er beim Schwarzfahren im Bus erwischt wurde. Er flog auf und wurde wenig später ausgeschafft. Und der Wirt hat ein Verfahren am Hals.
Hohe Steuern und tiefe Löhne sind die Treiber
Notlage: Schwarzarbeit gebe es nicht, weil die Menschen habgierig und charakterlos wären, sagt der deutsche Experte Friedrich Schneider, sondern weil die offizielle Arbeit für den Kunden zu teuer sei und der Nettolohn für den Arbeitnehmer zu niedrig. Wenn Firmen ökonomisch rational denken und die Produktion in Billiglohnländer auslagern, werde das mit Bedauern hingenommen. Wenn aber Arbeitnehmer dem ökonomischen Reiz der niedrigen Kosten und des höheren Profits folgten, würden sie für ihr Handeln verfolgt.
Zunahme: In der Schweiz hat der Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlandprodukt in den letzten Jahren zugenommen. Dank relativ hoher Löhne und tiefer Steuern ist er aber im europäischen Vergleich mit rund 9 Prozent noch gering.
Handelszeitung, 27.10.2010 (PDF)
Kommentar: Politik hat grandios versagt
Bauherren – sei es der Staat oder ein Privater – können viel Geld sparen, wenn sie es zulassen, dass der Generalunternehmer Hungerlöhne zahlt oder er Hilfskräfte gar nicht erst anmeldet. Das nennt man Schwarzarbeit. In der Schweiz geht es jährlich um viele Milliarden. Das hat spürbare Folgen: Hunderte von Millionen Franken werden so am Fiskus und an den Sozialversicherungen vorbeigeschmuggelt. Geld, das AHV, IV und Arbeitslosenkasse bitter nötig hätten.
Die Massnahmen gegen Schwarzarbeit und Lohndumping sind unzureichend und können von Betrügern im In- und Ausland leicht umgangen werden. Sie hinken – ähnlich wie im Kampf gegen Geldwäscherei und Drogenhandel – der Realität immer einen Schritt hinterher. Die bisherige Pflästerlipolitik hat grandios versagt. Das sagen nicht nur Gewerkschafter, sondern auch eingefleischte Rechtsliberale wie etwa der Baselbieter FDP-Nationalrat Hans Rudolf Gysin. Selbst einer wie er ruft inzwischen nach mehr Regeln.
Die wirksamste Massnahme wäre die Änderung des Entsendegesetzes. Heute gibt der Generalunternehmer mit dem Auftrag auch gleich die Verantwortung an den Subunternehmer ab. Dieser sitzt oft im Ausland und führt womöglich eine Briefkasten- oder Scheinfirma, die von einem Strohmann gedeckt wird. Wenn ein solcher Subunternehmer Schwarzarbeiter anheuert, können die Behörden die Spur nicht zurückverfolgen und müssen kapitulieren. Generalunternehmer und Bauherr sind jedoch fein raus. Eigentlich müssten sie selber die Gesamtverantwortung tragen und sicherstellen, dass auf der Baustelle alles mit rechten Dingen zugeht. Bei öffentlichen Ausschreibungen stehen nicht zuletzt auch Gemeinden und Kantone in der Pflicht. Wo sie Bauherr sind, kommt die günstigste Offerte zum Zug – auch wenn dort das Risiko von Schwarzarbeit besonders gross ist.
Gegen eine Gesetzesänderung, die alle Firmen – ob gross oder klein – in die Pflicht nehmen würde, wehren sich der Schweizerische Gewerbeverband und dessen Lobby in Bundesbern. Auf den ersten Blick profitiert die Baubranche natürlich von der Schwarzarbeit: Der Konkurrenzkampf ist hart. Wer günstiger offerieren kann, bekommt in der Regel den Auftrag. Aber die Branche erweist sich damit einen Bärendienst. Sie verstärkt den Kostendruck und sägt so selber am Ast, auf dem sie sitzt. Das ist falsch verstandener Wettbewerb. Ein Wettbewerb, bei dem alle verlieren.
Handelszeitung, 20.10.2010, Meinung (PDF)